25. Die Sage vom Bürgermeister Hermann Grin

Der Kölner Erzbischof hatte einen Löwen als Geschenk erhalten, dessen Pflege er zwei Domherren auftrug, was für diese eine besondere Ehre war. Da beschlossen die beiden, ihm ihre Dankbarkeit auf eine ganz besondere Weise zu zeigen. Schon lange gab es immer wieder heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Erzbischof und dem Bürgermeister der Stadt, Hermann Grin, der ein stolzer Mann war und die Macht der Kirche nicht fürchtete. Was sollte dem Erzbischof also größere Freude bereiten können, als diesen lästigen Widersacher für immer los zu werden?

Nach und nach luden die Domherren nun die wichtigsten Leute der Stadt ein, sich bei ihnen den Löwen anzuschauen, der natürlich eine große Attraktion war. Und eines Tages sandten sie auch dem Bürgermeister eine Einladung mit der Bitte, doch allen früheren Streit zu vergessen. Diesem kam die plötzliche Freundlichkeit der beiden höchst verdächtig vor, doch was sollte er tun? Hätte er abgelehnt, so wäre das eine schlimme Beleidigung gewesen. So nahm er die Einladung an, aber bevor er sich auf den Weg machte, band er sich heimlich ein kurzes Schwert um, das er unter seinem weiten Mantel gut verbergen konnte. Die Domherren heuchelten große Freude, daß er die Einladung angenommen hatte, und geleiteten ihn zu dem Raum, in dem die wilde Bestie gefangengehalten wurde. Vorsichtig wurde die Tür geöffnet, damit der Besucher einen Blick auf das Tier werfen konnte. Kaum war Hermann Grin jedoch abgelenkt, da stießen ihn die beiden heimtückisch von hinten in die Kammer und warfen die Tür ins Schloß. Der Löwe, der schon ein paar Tage nicht mehr gut gefüttert worden war, damit er auch ordenrtlichen Hunger hatte, glaubte, sein Abendessen vor sich zu haben, und stürzte sich erwartungsgemäß mit weit aufgerissenem Maul auf den armen Mann. Der jedoch war geistesgegenwärtiger als seine Widersacher für möglich gehalten hatten, wickelte rasch seinen Mantel um die linke Hand, stieß sie dem angreifenden Löwen in den Rachen, damit er nicht mehr zubeißen konnte, zog mit der rechten das Schwert und stach es dem Tier zwischen die Rippen, so daß es tot zusammenbrach. Danach gelang es ihm, sich zu befreien. (In der alten Stadtchronik findet sich hier die schöne Formulierung: "Also quam der burgermeister uis der noit und gink ungessen weder heim.")

Für die beiden Domherren ging die Geschichte übel aus, denn sie ließ Hermann Grin an der alten römischen Pforte am Domkloster hängen, die seither die Pfaffenpforte genannt wurde.

Mit der "Pfaffenpforte" ist das ehemalige römische Nordtor gemeint, dessen Bezeichnung (die tatsächlich überliefert ist) sich aber wahrscheinlich nur darauf bezog, daß sie den Eingang zum Domhof bildete, durch den die "Pfaffen" (Geistlichen) gingen. Die Sage vom Bürgermeister Herman Grin hat eine eindeutige Botschaft, die jeder sofort verstand. Die Kölner Bürger mußten ihre Stadtfreiheit erkämpfen und sollten stets so mutig sein wie der legendäre Bürgermeister, um sie gegebenenfalls zu verteidigen. Der Löwe, der schon in den antiken Fabeln als König der Tiere bezeichnet wird, symbolisiert die weltliche Macht des Erzbischofs. Nach jahrhundertelangen Auseinandersetzungen gelang es den Kölnern in der Schlacht bei Worringen, den Erzbischof zu besiegen. Diese Ritterschlacht fand im Jahre 1288 statt. In der Schlacht ging es in erster Linie um "höhere Politik": Anlaß war ein Erbfolgestreit zwischen den Ansprüchen des Herzogs Jan I. von Brabant und des Grafen von Luxemburg auf die Grafschaft Limburg. Etwa 10.000 Mann trafen auf der Fühlinger Heide bei Worringen (heute ein Stadtteil von Köln) aufeinander. Die Kölner nutzten die Chance, sich ihres Erzbischofs ein für allemal zu entledigen. Dieser war mit dem Luxemburger Grafen verbündet, und die Kölner ergriffen Partei für den Feind ihres Stadtherrn. Der Streitwagen des Erzbischofs Siegfried von Westerburg wurde erobert, der Erzbischof gefangengenommen und anschließend über ein Jahr lang auf Schloß Burg an der Wupper eingesperrt. Von da an war Bonn die neue Residenzstadt des Erzbischofs, und seine Funktion in Köln beschränkte sich auf geistliche Aufgaben und die Gerichtsbarkeit bei Kapitalverbrechen. De facto hatten die Kölner mit der Schlacht bei Worringen ihre Reichsunmittelbarkeit errungen.

Das historische Rathaus ist gewissermaßen die Visitenkarte der Stadt, dient heutzutage aber keineswegs nur repräsentativen Zwecken. Es ist nach wie vor das "Haus der Bürger". So hat z.B. der hier seinen Amtssitz, und auch standesamtliche Trauungen finden im historischen Rathaus statt. Als Trauzimmer dient ein Raum im Erdgeschoß, die ehemalige Mittwochsrentkammer (Archiv und Schatzkammer), im ehemaligen Weinkeller darunter befindet sich das Büro des Standesbeamten. Auch das Turmzimmer im ersten Geschoß, der sogenannte Senatssaal (früher Sitzungssaal des Stadtrates), wird hin und wieder als Besprechungszimmer genutzt, hat aber mehr den Charakter eines Museums, in dem u.a. das von Melchior von Rheid um 1601 geschaffene, reich mit Intarsien verzierte Ratsgestühl zu sehen ist. Sehenswert ist natürlich auch der schon erwähnte Hansasaal, an dessen Nordwand acht hölzerne Prophetenfiguren (um 1410) aufgestellt sind, die sich ursprünglich in der im Zwischentrakt zwischen Turm und Hansaal gelegenen Prophetenkammer befanden. Im Erdgeschoß ist ein moderner Veranstaltungssaal, die Piazetta entstanden, und von dort aus kann man auch in den im Renaissance-Stil gestalteten Umgang um den unten liegenden Löwenhof gelangen, der vom Restaurant "Ratskeller" (Eingang Alter Markt) in der warmen Jahreszeit als Speisezimmer genutzt wird.

Kostenlose öffentliche Führungen durch das historische Rathaus finden jeden Mittwoch um 15 Uhr statt. Nicht öffentlich zugänglich sind die über dem Senatsaal liegenden Etagen, in denen ein Lapidarium eingerichtet worden ist: die Fragmente der im Krieg beschädigten Ratsturmfiguren werden dort aufbewahrt.


DER KÖLNER ALTSTADTFÜHRER