Der Heinzelmännchenbrunnen

Wenn man den Roncalliplatz auf der Südseite des Domes am Domhotel entlang überquert, gelangt man zu einem der ältesten und beliebtesten Brunnen Kölns, der gerade in den letzten Jahren besonders schön wieder hergerichtet wurde.

Fast immer stehen dort Touristen, um sich gegenseitig vor diesem attraktiven Bildmotiv zu fotografieren, und nicht selten hört man sie darüber rätseln, was hier wohl dargestellt ist. Die Vermutungen reichen von einem eher allgemeinen "irgendein Märchen" bis hin zum konkreten "Schneewittchen und die sieben Zwerge". Tatsächlich ist es jedoch das Gedicht von den "Heinzelmännchen zu Köln", das der gebürtige Breslauer und preußische Beamte August Kopisch im vorigen Jahrhundert schrieb, und mit dem noch heute so mancher (nicht nur Kölner) Lehrer seine Schüler traktiert. Wer es noch nicht kennt, kann es hier in voller Länge nachlesen:

 

Die Heinzelmännchen zu Köln

Wie war zu Köln es doch vordem

mit Heinzelmännchen so bequem!

Denn war man faul, man legte sich

hin auf die Bank und pflegte sich:

Da kamen bei Nacht,

ehe man´s gedacht,

die Männlein und schwärmten

und klappten und lärmten

und rupften und zupften

und hüpften und trabten

und putzten und schabten,

und eh´ ein Faulpelz noch erwacht,

war all sein Tagewerk - bereits gemacht!

Die Zimmerleute streckten sich

hin auf die Spän´ und reckten sich.

Indessen kam die Geisterschar

und sah, was da zu zimmern war,

nahm Meißel und Beil

und die Säg´ in Eil´,

sie sägten und stachen

und hieben und brachen,

berappten und kappten,

visierten wie Falken

und setzten die Balken.

Eh´ sich´s der Zimmermann versah -

klapp, stand das ganze Haus -

schon fertig da!

Beim Bäckermeister war nicht Not,

die Heinzelmännchen backten Brot.

Die faulen Burschen legten sich,

die Heinzelmännchen regten sich

und ächzten daher

mit den Säcken schwer

und kneteten tüchtig

und wogen es richtig

und hoben und schoben

und fegten und backten

und klopften und hackten.

Die Burschen schnarchten noch im Chor:

da rückte schon das Brot, das neue, vor!

Beim Fleischer ging es just so zu:

Gesell´ und Bursche lag in Ruh´;

indessen kamen die Männlein her

und hackten das Schwein

die Kreuz und Quer.

Das ging so geschwind

wie die Mühl´ im Wind.

Die klappten mit Beilen,

die schnitzten an Speilen,

die spülten, die wühlten

und mengten und mischten

und stopften und wischten.

Tat der Gesell´ die Augen auf -

wapp, hing die Wurst schon da

zum Ausverkauf!

Beim Schenken war es so: Es trank

der Küfer, bis er niedersank;

am hohlen Fasse schlief er ein,

die Männlein sorgten um den Wein

und schwefelten fein

alle Fässer ein

und rollten und hoben

mit Winden und Kloben

und schwenkten und sengten

und gossen und pantschten

und mengten und manschten.

Und eh´ der Küfer noch erwacht,

war schon der Wein geschönt

und fein gemacht!

Einst hatt´ ein Schneider große Pein:

der Staatsrock sollte fertig sein;

warf hin das Zeug und legte sich

hin auf das Ohr und pflegte sich.

Da schlüpften sie frisch

in den Schneidertisch

und schnitten und rückten

und nähten und stickten

und faßten und paßten

und strichen und guckten

und zupften und ruckten.

Und eh´ mein Schneiderlein erwacht,

war Bürgermeisters Rock -

bereits gemacht!

Neugierig war des Schneiders Weib

und macht sich diesen Zeitvertreib:

streut Erbsen hin die andre Nacht.

Die Heinzelmännchen kommen sacht:

eins fährt nun aus,

schlägt hin im Haus,

die gleiten von Stufen,

die plumpen in Kufen,

die fallen mit Schallen,

die lärmen und schreien

und vermaledeien.

Sie springt hinunter auf den Schall

mit Licht - husch, husch, husch, husch -

verschwinden all´.

Oh weh, nun sind sie alle fort,

und keines ist mehr hier am Ort:

man kann nicht mehr wie sonsten ruhn,

man muß nun alles selber tun.

Ein jeder muß fein

selbst fleißig sein

und kratzen und schaben

und rennen und traben

und schniegeln und bügeln

und klopfen und hacken

und kochen und backen.

Ach, daß es noch wie damals wär´!

Doch kommt die schöne Zeit

nicht wieder her.

Betrachtet man den Brunnen von links nach rechts, so hat man eine genaue Illustration dieser Geschichte vor sich, wobei sich der dramatische Schluß mit der neugierigen Schneidersfrau in der Mitte befindet.

Ganz links begegnet uns ein Kölner Zimmermann im Tiefschlaf. Warum er von dem lauten Treiben der im Hintergrund mit allerlei Werkzeug heraneilenden Heinzelmännchen nicht geweckt wird, ist ganz offensichtlich: in der Hand hält er einen großen Bierkrug. Wer nun allerdings erwartet, etwa im "Früh", das direkt hinter dem Heinzelmännchenbrunnen liegt, seinen Gerstensaft in einem solchen Humpen serviert zu bekommen, der wird arg enttäuscht. Da das Kölsch nur wenig Kohlensäure enthält, hat sich als Glas die sogenannte Kölner Stange durchgesetzt, ein zylindrisches Gefäß mit 0,2 l Fassungsvermögen, das den Kölnern vor allem im süddeutschen Raum den Ruf eingetragen hat, ihr Bier aus "Reagenzgläsern" zu trinken!

Rechts neben dem Relief mit dem Zimmermann kann man die ersten Verse des Gedichtes nachlesen. Dann folgt noch einmal die Zimmermannswerkstatt, diesmal ganz mit emsig werkelnden Heinzelmännchen gefüllt. Daneben geht es in der Backstube nicht minder fleißig zu. Zwischen den beiden Reliefs befinden sich zwei Wappen. Das sind die Handwerkerwappen der Zimmerleute und Bäcker.

Die folgende Reliefgruppe zeigt die hilfreichen Zwerge bei Fleischer und Küfer. Auch hier werden die Bilder wieder durch die entsprechenden Handwerkerwappen ergänzt. Beim Fleischer ist die Wurstproduktion dargestellt, die links mit dem ganzen Schwein beginnt, während rechts die Wurstmasse in den Darm gestopft wird. Möglicherweise produzieren die Heinzelmännchen gerade eine Kölner Spezialtät: die Kölner Blutwurst, kurz "Flönz" genannt.

Daß in Köln Wein hergestellt wurde, mag manchen irritieren, da wir hier ja nicht gerade die ideale sonnige Hanglage haben, ist aber eine historische Tatsache. Allerdings war dieses Kölner Produkt, das auch noch mit Kräutern und allen möglichen Zusätzen vermischt wurde, die früher durchaus erlaubt waren, nie von besonderer Qualität und deshalb allgemein als "soore Hungk" ("saurer Hund") oder "nasser Lodewig" bekannt. Trotzdem gibt es noch heute ein Weingärtlein in Köln, nämlich am Regierungspräsidium auf der Zeughausstraße, wo der Regierungspräsident Herr Antwerpes persönlich alljährlich erntet und keltert!

Schaut man jetzt um die Brunnenecke, so entdeckt man wieder einige Verse des Gedichtes, denen ein Relief folgt, das nicht nur den schlafenden Schneider in seiner Werkstatt, sondern natürlich auch wieder die Heinzelmännchen bei der Arbeit zeigt.

Das neugierige Schneidersweib, das der Faulheit der Kölner ein Ende machte, steht mit der Laterne in der Hand in der Mitte ganz oben auf dem Brunnen. Sie schaut auf die Treppe, an deren Fuß die verunglückten Heinzelmännchen liegen und böse zu ihr heraufblicken. Unter dieser Szene sieht man ein stark verwittertes Spruchband, auf dem - kaum noch lesbar - die entscheidende Zeile des Gedichtes steht: "Neugierig war des Schneiders Weib". Das Band ist über das Schneiderwappen mit der großen Schere gelegt.

Ist die Geschichte wirklich eine "alte Kölner Sage", wie so oft behauptet wird, oder stammt sie womöglich ganz woanders her - etwa aus Berlin, wie man uns kürzlich glauben machen wollte? Tatsächlich schreibt Kopisch Köln "Cölln", was dieser Vermutung recht zu geben scheint. Trotzdem gilt es bei den Kölner Heimatforschern inzwischen als erwiesen, daß der Autor mit seinem Gedicht doch das Köln im Rheinland gemeint hat. Schließlich wird eine entsprechende Sage schon in dem 1826 von Ernst von Weyden herausgegebenen Werk "Cöln´s Vorzeit - Geschichten, Legenden und Sagen" erwähnt. Es wird dort sogar vermutet, daß die Heinzelmännchen etwa fünfzig Jahre vor Erscheinen des Buches in Köln gelebt hätten. Die Sage ist damit also bereits zehn Jahre vor Erscheinen des Gedichtes für den Kölner Raum belegt. Und die Tatsache, daß Weyden schreibt, die Heinzelmännchen hätten vor etwa fünfzig Jahren hier gelebt, läßt sogar deutlich werden, was der wahre Kern dieser Geschichte sein könnte. Denn in diese Zeit fällt der Einmarsch der Franzosen in die Stadt und damit das Ende der "guten alten Zeit" mit z.B. einer sehr konservativen Zunftverfassung, die das Leben der Handwerker auf das genaueste regelte. Auch wenn die nun beginnenden Veränderungen objektiv gesehen eher gut für die Wirtschaft waren, trauerte doch so mancher eben der alten Zeit hinterher.

Obwohl die Sage also nicht gerade etliche Jahrhunderte alt ist, kann man inzwischen aber durchaus von einer echten Kölner Sage sprechen, denn das Besondere dieser Literaturgattung ist ja neben der Tatsache, daß die Geschichten früher mündlich überliefert wurden, auch noch, daß sie sich verwandeln und in verschiedenen Variationen auftreten können. Und genau das ist mit dieser Geschichte passiert. Inzwischen gibt es sogar schon eine "politisch korrekte" Version, in der die Schneidersfrau in Wirklichkeit die Heinzelmännchen nur um Hilfe für ihren Mann bitten will, sie aber nie zu Gesicht bekommt und deshalb auf den Trick mit den Erbsen verfällt. In einer weiteren Version tragen die hilfreichen Zwerge Tarnkappen, damit sie niemand sieht, und eine dritte Variante weiß sogar zu berichten, daß die Heinzelmännchen Köln mit dem Schiff verlassen haben.

Gestiftet wurde der Brunnen 1899 vom Kölner Verschönerungsverein zum hundertsten Geburtstag von August Kopisch. Gestaltet wurde er von Edmund und Heinrich Renard. Für diese beiden, Vater und Sohn, war das doch sehr weltliche Thema des Brunnens etwas neues, denn sonst schufen sie religiöse Kunstwerke.

Erstaunlich ist, wenn man die Geschichte kennt, die Schönheit der Schneidersfrau. Es gibt inzwischen zahlreiche illustrierte Versionen dieses Gedichtes, mal mehr für Kinder, mal eher für Erwachsene, aber immer kommt das "Schneidersweib" schlecht weg und wird als häßliche Hexe dargestellt.

Nun ist es ja so, daß Köln zwar ab 1815 unter preußischer Regierung war, sich aber mit den preußischen Tugenden recht schwer tat. Und andersherum hatten die Preußen ihre Probleme mit der "Gemütlichkeit" der Rheinländer, die sie eher als Faulheit ansahen. Da in den Augen des preußischen Beamten Kopisch also die Schneidersfrau eher eine positive Gestalt war, die die Kölner endlich wieder zum Arbeiten brachte, sollen die beiden Künstler darauf Rücksicht genommen und ihr deshalb ein so schönes Gesicht verliehen haben, daß sie auch schon einmal mit Schneewittchen verwechselt wird!

Das Copyright für diesen Text liegt bei den Autoren Thomas und Yvonne Plum

. Erstmals veröffentlicht in "Der Kölner Altstadtführer" (Köln: Bachem 1989)