26. Das mittelalterliche Judenviertel

Rechts neben der Rathauslaube ist ein Straßenschild zu sehen, das auf den ersten Blick irritiert: Judengasse. Eine Gasse ist nirgends zu sehen, erstreckt sich doch vor dem Rathaus ein großer Platz. Der Straßenname erinnert daran, daß dieser Platz im Mittelalter dicht bebaut war. Dort befand sich das Kölner Judenviertel. Daß die Juden hier lebten, wird bereits im 12. Jahrhundert urkundlich erwähnt; das Bürgerhaus (Rathaus) befände sich inter Iudeos, "unter den Juden". Tatsächlich befindet es sich am Rande des mittelalterlichen Judenviertels.

Schon in römischer Zeit ist eine Kölner Judengemeinde belegt; Kaiser Konstantin schrieb 321 an den Stadtrat von Köln, er dürfe Juden in den Stadtrat berufen - ein sehr kostspieliges Ehrenamt, denn die Ratsmitglieder mußten unter anderem Steuern vorstrecken und Fehlbeträge aus den geschätzten und eingenommenen Steuern aus eigener Tasche bezahlen. Dieser Brief ist der früheste historische Beweis für jüdische Niederlassungen in Deutschland.

Bis Ende des 11. Jahrhunderts lebten die Kölner Christen und Juden ohne große Konflikte zusammen. Es wird sogar berichtet, daß die Juden nach dem Tod des Kölner Erzbischofs Anno (1056-75) in ihrer Synagoge um ihn trauerten. Wie kapitalkräftig sie waren, bezeugen die hohen Darlehen, die sie dem Erzbischof gewährt hatten.

Der Wohlstand der rheinischen Juden kam durch den Handel zustande. Sie betätigten sich jahrhundertelang als Fernhändler. Schon in der karolingischen Zeit erhielten einzelne Gemeinden deshalb Privilegien, die nicht nur den Schutz von Leben und Eigentum umfaßten, sondern auch Zollbefreiung und die Erlaubnis zur Beschäftigung christlicher Arbeitskräfte. Für diesen Schutz mußten sie ein Zehntel ihres Gewinns abgeben. Bevor die Kreuzfahrer im vorderen Orient Handelsniederlassungen aufbauten, brachten jüdische Kaufleute Luxusgüter wie Gewürze, kostbare Stoffe und Edelmetalle nach Europa.

Mit der Ausrufung des ersten Kreuzzugs 1095 durch Papst Urban II. endete die friedliche Koexistenz zwischen Christen und Juden. Auf ihrem Weg nach Jerusalem richtete sich der fanatische Glaubenseifer vieler Kreuzfahrer zunächst gegen die "Ungläubigen" im eigenen Land. Auch die meisten Kölner Juden fielen ihnen zum Opfer. Anfang des 12. Jahrhunderts entstand die Gemeinde neu, doch das Leben wurde ihr von Kirche und Stadt erschwert.

Durch die Kreuzfahrer aus dem internationalen Handel verdrängt, durften sich Juden nur noch als Geldwechsler und Pfandverleiher betätigen. Den Juden war die Ausübung eines "ehrlichen Handwerks" untersagt, da Handwerker einer Zunft beitreten mußten und dies nur getauften Christen erlaubt war. Der Geldverleih gegen Zinsen war wiederum den Christen verboten. Die Kaufleute, die sich im riskanten Fernhandel betätigten, benötigten die Juden als Kreditgeber. Bankgeschäfte wurden als "unehrlich" verachtet; so entstand in der Bevölkerung das Vorurteil vom "jüdischenWucherer".

1215 verschärfte Papst Innozenz III. die antijüdische Gesetzgebung. Ab 1300 kam es auch zu offiziellen Repressalien durch die Stadt. Den Juden wurde eine strenge Kleiderordnung auferlegt, und Ausgangssperren (z.B. am Karfreitag) wurden verhängt.

Das schlimmste Massaker erlebte das Kölner Judenviertel im Jahre 1349. Damals wütete die Pest in Europa und tötete binnen weniger Jahre rund die Hälfte, mancherorts sogar bis zu zwei Drittel der Bevölkerung. Dem Ausbruch der Pest gingen in den Städten regelmäßig Judenpogrome voraus. Man bezichtigte sie, die Brunnen vergiftet und dadurch die Seuche verursacht zu haben. Tatsächlich fielen mehr Christen als Juden der Seuche zum Opfer. Das lag allerdings daran, daß die Juden sehr strenge Hygienevorschriften hatten, während die hygienischen Zustände unter den Christen katastrophal waren.

In der sogenannten Bartholomäusnacht überfiel eine aufgebrachte Meute das Judenviertel, ermordete und beraubte fast alle Bewohner und steckte ihre Häuser in Brand.

1954 entdeckte man bei Ausgrabungen im Bereich des Praetoriums einen großen Münzfund, der 1349 von einer Familie vergraben worden war. Offensichtlich hatte kein Familienmitglied die "Judenschlacht" überlebt. Dieser sensationelle Fund belegte nicht nur den Wohlstand, sondern auch die weitverzweigten Handelsbeziehungen der rheinischen Juden. Die Kölner Judengemeinde, die aus fünfzig Familien bestand, war die größte und wohlhabendste im gesamten Rheinland. Ihr Vermögen mußten diese Menschen in Bargeld und Wertsachen investieren, da ihnen der Erwerb von Grund und Boden untersagt war. (Der Münzschatz ist im Kölnischen Stadtmuseum ausgestellt.)

Jahre später wanderten wieder einige jüdische Familien aus dem Rechtsrheinischen - Mülheim, Deutz und Zündorf waren kurkölnisches, d.h. erzbischöfliches Gebiet - nach Köln ein und bauten das Viertel wieder auf. Doch dieser Neuanfang währte nicht lange. Im Jahre 1424 beschloß der Stadtrat, die dort lebenden Juden "auf alle Ewigkeit" aus der Stadt zu verbannen. Anlaß war ein Streit zwischen Bürgern und Erzbischof. Man konnte sich nicht über die Aufteilung der alle zehn Jahre von den Juden zu entrichtenden Abgaben einigen und warf den Juden vor, sie säten Unfrieden unter den Christen. Eigentlich war ihr Schutzherr der Kurfürst und Erzbischof, da sie aber städtisches Gebiet bewohnten, verlangte auch die Stadt ihren Anteil. Das Aufenthaltsrecht der Juden, die kein Bürgerrecht besaßen, mußte teuer erkauft werden. Das Judenprivileg, das einst angesehene Fernhändler geschützt hatte, diente nur noch zur Ausbeutung einer verachteten Minderheit.

Nach der "endgültigen" Vertreibung der Juden (erst im 19. Jahrhundert durften sie sich wieder in der Stadt ansiedeln!) wurde die Synagoge abgerissen und durch eine christliche Kirche ersetzt, die als Ratskapelle diente. Der Name dieser 1426 geweihten Kirche war St. Maria in Jerusalem. (Für diese Ratskapelle schuf Stefan Lochner den berühmten Altar der Stadtpatrone, der sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts in der Marienkapelle des Kölner Domes befindet.)

Die Kapelle, die schon seit dem vorigen Jahrhundert nicht mehr als Gotteshaus genutzt worden war, wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Der rechteckige Grundriß von Ratskapelle bzw. Synagoge ist auf dem Rathausplatz im Boden markiert. Davor sieht man einen eingezäunten Ausgrabungsbereich. Es handelt sich um die Ostapsis der römischen Aula Regio, Teil des Praetoriums. Man kann deutlich den Befeuerungskanal für die Hypokausten (Fußbodenheizung) dieses Gebäudeteils sehen. Ein paar Schritte weiter steht man vor einer Pyramide aus Stahl und Glas. Sie erhebt sich über der Mikwe, dem jüdischen Ritualbad aus dem 12. Jahrhundert. Unmittelbar neben der Mikwe ist eine Gedenktafel in den Boden des Rathausplatzes eingelassen, die einen Lageplan mit den wichtigsten Gebäuden zeigt: Synagoge, Mikwe, Badestube, Bäckerei, Spielhaus und Hospiz. Die Grundrisse dieser Gebäude sind in der Pflasterung des Platzes kenntlich gemacht. Die Geschichte des Kölner Judenviertels wird auf der Bronzeplatte mit knappen Worten zusammengefaßt.


DER KÖLNER ALTSTADTFÜHRER